In der Spie­lzeit 2025.2026 setzt die Jenaer Phil­har­mo­nie mit der Wahl ihres ARTIST IN RESI­DENCE einen beson­deren Akzent. Mit dem gebür­ti­gen Jenen­ser Robert Sei­del wird ein renom­mier­ter Licht­küns­tler die Musik um neue Erfah­rungs­wel­ten und Wahr­neh­mun­gen berei­chern. Robert Seidel arbei­tet in den Berei­chen Expe­ri­men­tal­film, Instal­la­tion, Zeich­nung und Proj­ek­tion. Ihm geht es in sei­ner Arbeit darum, die Gren­zen der abstra­hier­ten Schön­heit durch kine­ma­to­gra­fische, aber auch durch wis­sen­schaft­li­che und tech­ni­sche Ansätze zu erwei­tern.

Ulrich Schardt: Lie­ber Herr Mül­ler, wie haben Sie als Werk­lei­ter von Jena­Kul­tur die Idee ent­wi­ckelt, Robert Sei­del als Licht­künst­ler für die Jenaer Phil­har­mo­nie zu gewin­nen?

Carsten Müller: Die Idee, Robert Sei­del für die Jenaer Phil­har­mo­nie zu gewin­nen, geht zurück auf ein Gespräch mit Simon Gau­denz und einen Impuls aus dem Or­ches­ter – ange­sto­ßen vom Solo-Obo­is­ten Jörg Schnei­der. Als wir in der Spiel­zeit 2023.2024 den Schau­spie­ler Ste­fan Kurt als Artist in Resi­dence bei uns hat­ten und dies ein enor­mer Erfolg war, woll­ten wir daran anknüp­fen, unsere Jenaer Phil­har­mo­nie mit wei­te­ren Künst­le­rin­nen und Künst­lern zu ver­net­zen, die bewusst keine Musi­ker sein soll­ten. Es geht uns darum, andere Wege als die erwart­ba­ren ein­zu­schla­gen. Den künst­le­ri­schen Weg Robert Sei­dels ver­folge ich schon seit 2008 mit gro­ßem Inter­esse, als er eine Pro­jek­tion auf dem Phyle­ti­schen Museum umsetzte. Licht­kunst und Klang­kunst des klas­si­schen Kon­zer­tes in eine span­nende Bezie­hung zu set­zen und dem Raum eine zusätz­liche emo­tio­nale Dimen­sion zu geben, dies ist unsere Idee.

Was ver­spre­chen Sie sich von die­ser Kom­bi­na­tion aus Klang und Licht?

Carsten Müller: Das Thema der Ins­ze­nie­rung des Ortes und Rau­mes eines klas­si­schen Kon­zer­tes habe ich per­sön­lich oft als ein­di­men­sio­nal erlebt. Vor Jahr­zehn­ten war das klas­si­sche Kon­zert das größt­mög­liche, was ein Mensch damals auf die­sem Gebiet erle­ben konnte. Heute müs­sen sich klas­si­sche Kon­zerte auch daran mes­sen las­sen, welche emo­tio­nale Sti­mu­lie­rung inzwi­schen bei Kon­zer­ten ande­rer Musik­gen­res ange­strebt wird und wie sich dadurch die Erleb­nis­er­war­tun­gen neuer Gene­ra­tio­nen, auch von Besu­chern klas­si­scher Kon­zerte, ver­än­dern. Dabei geht es nicht um grelle Ins­ze­nie­run­gen, son­dern um das ange­mes­sen künst­le­rische Ver­bin­den des akus­ti­schen mit dem opti­schen Erle­ben.

»Es geht uns darum, andere Wege als die erwart­ba­ren ein­zu­schla­gen. ... Licht­kunst und Klang­kunst des klas­si­schen Kon­zer­tes in eine span­nende Bezie­hung zu set­zen und dem Raum eine zusätz­liche emo­tio­nale Dimen­sion zu geben, dies ist unsere Idee.«

CARSTEN MÜLLER

Robert Seidel, Foto: JenaKultur, Christoph Worsch
Robert Seidel, Foto: JenaKultur, Christoph Worsch

»Mich inte­res­siert der Über­gang von Orten und Momen­ten, die einem ver­traut erschei­nen und dann mit Licht oder Pro­jek­tio­nen zu neuen Facet­ten ver­schlif­fen wer­den.«

ROBERT SEIDEL

Herr Seidel, wie wür­den Sie Ihre Licht­kunst beschrei­ben?

Robert Seidel: Mich inter­es­siert der Über­gang von Orten und Momen­ten, die einem ver­traut erschei­nen und dann mit Licht oder Pro­jek­tio­nen zu neuen Facet­ten ver­schlif­fen wer­den. Meine Arbeit an sich ist immer abs­trakt, aber in die­ser Kom­bi­na­tion mit einem rea­len Ort oder mit den Erin­ne­run­gen des Publi­kums ent­steht etwas Unvor­her­seh­ba­res, das die Kraft hat, auch mich zu über­ra­schen. Ich möchte keine Erklä­rung der Welt lie­fern, son­dern vom Publi­kum die Welt zurück erklärt bekom­men.

Inwie­weit exis­tiert diese Kunst bereits vor der Ins­ze­nie­rung in Ihrer Vor­stel­lung als Story­line, als künst­le­ri­scher roter Faden, und wel­cher Anteil die­ser Per­for­mance ent­steht im Moment des Kon­zer­tes?

Robert Seidel: Meine Arbeit beruht auf inten­si­ver Vor­be­rei­tung und Expe­ri­men­ten. Ich ent­wickle Film­se­quen­zen und über­lege mir eine Dra­ma­tur­gie oder abs­trakte Nar­ra­tio­nen, die sich einem kon­kre­ten Ort wid­men oder ver­su­chen, die­sen aus ver­schie­de­nen Blick­win­keln auf­zu­schlie­ßen. Mit mei­nen Ins­ze­nie­run­gen ver­hält es sich so, dass ich einige Tage vor der Ver­an­stal­tung vor Ort bin, um zu über­prü­fen, ob sich meine Vor­über­le­gun­gen in die­sem Rah­men stim­mig anfüh­len. Ich arbeite an dem Ort unter ande­rem mit den Para­me­tern Geschwin­dig­keit, Hel­lig­keit oder Ruhe­pha­sen, die exakt auf­ein­an­der abge­stimmt wer­den. Jetzt kommt in Jena die Live-Musik hinzu. Wie dann Licht, Ins­ze­nie­rung und Musik mit­ein­an­der in Reso­nanz tre­ten, ist der eigen­tli­che Teil der Arbeit, die das Or­ches­ter und ich gemein­sam aus­ba­lan­cie­ren wer­den.

Zum kon­kre­ten Ort, also in einem Fall dem Volks­haus Jena, kommt jetzt ja eine wei­tere Dimen­sion, die­je­nige der Töne und Klänge, der kon­kre­ten Kom­po­si­tion. Sie wer­den zum „Pla­ne­ten Schos­ta­ko­witsch“ einen künst­le­ri­schen Bei­trag pro­du­zie­ren. In die­sem Kon­zert wird seine 7. Sin­fo­nie erklin­gen, eine Kom­po­si­tion von star­ker Aus­drucks­kraft. Wie gehen Sie als Licht­küns­tler mit die­ser expres­si­ven Vor­lage um?

Robert Seidel: Unter den ver­schie­de­nen For­ma­ten, die ich für die Jenaer Phil­har­mo­nie in der Spie­lzeit 2025.2026 kre­ie­ren werde, wird diese Schos­ta­ko­witsch-Sin­fo­nie einen beson­de­ren Stel­len­wert ein­neh­men. Aber eine reine Bebil­de­rung von etwas His­to­ri­schem nimmt mir zu viel von mög­li­chen Inter­pre­ta­tions­spiel­räu­men. Für mich wird es wich­tig sein, dass es im Verl­aufe des Wer­kes Pha­sen abso­lu­ter Dun­kel­heit geben wird. Diese Momente, in denen außer der Musik nichts mehr wahr­nehm­bar sein soll, prä­zise zu ins­ze­nie­ren, ist mein Ziel. Es wird zarte und sehr mini­ma­lis­tisch gestal­tete Momente geben; es geht aber eher um die Zurück­nahme von Licht, um der Musik den ihr gebüh­ren­den Raum zu geben.

Carsten Müller: Gerade im klas­si­schen Kon­zert gibt es ja diese Momente der abso­lu­ten Ruhe, der Kon­zen­tra­tion, und diese Augen­bli­cke soll Licht­kunst zusätz­lich sti­mu­lie­ren.

Was bedeu­tet denn für Sie der Begriff „leises Licht“, den Sie gerne ver­wen­den?

Robert Seidel: Das wird sich zei­gen: das wer­den das Or­ches­ter, Simon Gau­denz und ich aus­ta­rie­ren. Diese beson­de­ren, ein­ma­li­gen Momente zu erschaf­fen, an die Gren­zen des (auch musi­ka­lisch) Mach­ba­ren zu gehen: auf diese Klang- und Licht­reise wer­den wir uns gemein­sam begeben. Das Schönste wäre, wenn sowohl das Or­ches­ter als auch das Pub­li­kum und ich ein ein­ma­li­ges, gemein­sa­mes Erleb­nis haben wer­den, sodass jede Kon­zert­be­su­che­rin und jeder -besu­cher eine indi­vi­du­elle Erzäh­lung mit­neh­men kann.

Carsten Müller: Für uns geht es um das ver­än­derte Kon­zert­er­leb­nis, bei dem die Sinne, die ver­meint­lich nicht auto­ma­tisch mit­ein­an­der kom­mu­ni­zie­ren, begin­nen, eine andere Art von Wahr­neh­mung zu erzeu­gen. Unsere Besu­che­rin­nen und Besu­cher sol­len sagen, dass sie ein ihnen bekann­tes Werk so noch nie emp­fun­den haben.

Sie gehen in Ihrer Spiel­zeit als Resi­dence-Künst­ler in Jena an unter­schied­liche Orte und haben sich bewusst ver­schie­dene For­mate vor­ge­nom­men. So wer­den Sie in der Stadt­kir­che gemein­sam mit Berit Walt­her ein Chor- und Licht­kunst-Kon­zert kre­ie­ren. Wel­che Heran­ge­hens­weise schwebt Ihnen an die­sem Ort vor?

Robert Seidel: In der Stadt­kir­che wird das Haup­twerk „Lux Aeterna“ von Mor­ten Laurid­sen sein, im ers­ten Teil wer­den wir eine eher klas­sisch wir­kende Ins­ze­nie­rung sehen. Mit dem zwei­ten Teil des Pro­gramms, der Orgel­mu­sik und elek­tro­ni­sche Impro­vi­sa­tio­nen vor­sieht, wer­den wir den Kir­chen­raum in einer gewis­sen Art von Innen nach Außen stül­pen.

„PETRICHOR“, Video-Installation von Robert Seidel und Sound-Performance von Nikolai von Sallwitz, LUNA Festival, Grote Kerk Leeuwarden (NL), 2025, Fotos: Robert Seidel
„MORA II“, Laser-Installation von Robert Seidel und Sound-Performance von Nikolai von Sallwitz, Zwingli-Kirche Berlin, 2024, Fotos: Greta Markurt

»Meine Art von Licht­kunst soll ein Gegen­gewicht zur lau­ten Über­ins­ze­nie­rung in unserem All­tag set­zen. Es geht nicht um eine auf­merk­sam­keits­hei­schende Wir­kung, sondern um das inten­si­vere Hin­ein­hö­ren unter Hin­zu­nahme mei­ner Kunst.«

ROBERT SEIDEL
 

Was dür­fen die Kon­zert­be­su­che­rin­nen und -besu­cher darü­ber hin­aus von Ihrer Arbeit erwar­ten?

Robert Seidel: Ich freue mich ins­be­son­dere auf unsere Open-Air-Abschluss­ver­an­stal­tung im Jenaer Para­dies­park mit unter­schied­li­cher Musik für ein brei­tes Publi­kum. Vor dem Glas­haus liegt ein Wei­her. Hier würde ich gerne auf eine künst­li­che Was­ser­fon­täne pro­ji­zie­ren, die­sen Radius mit Licht ein­schrei­ben und auf diese Weise Musik und Licht als Mag­net für die Vor­bei­spa­zie­ren­den wir­ken las­sen. Das Beson­dere wird sein, dass wir im Außen­raum Live-Musik mit klei­nen Ensem­bles der Jenaer Phil­har­mo­nie erle­ben dür­fen. Wie fühlt sich diese prä­zise aus­ge­stal­tete Musik zwi­schen Natur und der Archi­tek­tur des Glas­hau­ses an? Wie rea­gie­ren die Teile des Publi­kums darauf, die viel­leicht sonst eher weni­ger Kon­takt zur Jenaer Phil­har­mo­nie haben? Auf diese Leben­dig­keit des Aus­tauschs bin ich sehr gespannt.

Herr Müller, in Ihrer Funk­tion als Ver­ant­wort­li­cher für die Stadt­marke Jena: Was ver­spre­chen Sie sich von die­ser künst­le­ri­schen Koope­ra­tion zwi­schen Robert Sei­del und der Jenaer Phil­har­mo­nie?

Carsten Müller: Die DNA der Stadt Jena ver­eint Tra­di­tion und Wis­sen­schaft mit der Suche nach dem Neuen und Offen­heit für Moderne. Ein Licht­künst­ler und ein tat­säch­lich jun­ges Or­ches­ter öffnen sich gemein­sam für alte und neue Orte in unse­rer Stadt, die Robert Sei­del aus­ge­sucht hat, die aber im Bewuss­tsein der Jenen­ser und Jenaer eine Bedeu­tung haben. Diese Orte wer­den durch die Fusion aus Musik und Licht­kunst eine unge­ahnte Wir­kung ent­fal­ten und ein neues Hör- und Seh­er­leb­nis ermög­li­chen. Aus Sicht der Außen- und Innen­wir­kung unse­rer Stadt kann uns künst­le­risch nichts Bes­se­res pas­sie­ren.

Robert Seidel: Ich freue mich beson­ders darü­ber, dass es auf Sei­ten der Jenaer Phil­har­mo­nie und bei Simon Gau­denz diese Neu­gierde und Offen­heit gibt, ver­schie­den­ste Orte zu erschlie­ßen, die ich, der hier seit 15 Jah­ren nicht mehr regel­mä­ßig lebt, eben­falls neu ent­de­cken kann. Aus nos­tal­gi­scher Erin­ne­rung und fri­schem Blick ent­steht etwas ganz Beson­de­res.

Wenn ich Sie rich­tig ver­stehe, sind die Ergeb­nisse Ihrer Arbeit eben auch noch offen und gestalt­bar?

Robert Seidel: Dies ist Teil mei­ner künst­le­ri­schen Arbeit. Es wird, abhän­gig von der Kom­bi­na­tion aus Kom­po­si­tion und Ort, auch die Not­wen­dig­keit für Impro­vi­sa­tion geben. Einer mei­ner kom­po­si­to­ri­schen Part­ner, Niko­lai von Sall­witz, mit dem ich seit lan­gem zusam­men­ar­beite, wird hin­zu­kom­men und sich mit sei­ner Musik in die beste­hen­den Werke inte­grie­ren. Ich bin Simon Gau­denz sehr dank­bar dafür, dass er dafür offen ist, dass noch nicht alles in Stein gemei­ßelt ist, dass wir hier einen künst­le­ri­schen Pro­zess gemein­sam gestal­ten kön­nen.

Carsten Müller: Ich bin sehr gespannt auf diese Momente der emo­tio­na­len Ver­stär­kung der kom­po­nier­ten Musik. Robert Sei­del und das Or­ches­ter wer­den hier für unser Publi­kum neue Reso­nanz­räume kre­ie­ren. Dies halte ich für essen­ziell für die zukünf­tige Rezep­tion klas­si­scher Musik.

Robert Seidel: … und auch die ganz rea­len Orte und Räume, die zum Teil Jahr­hun­derte alt sind, wer­den wir im wahrs­ten Sinne des Wor­tes in neuem Licht erschei­nen las­sen. Meine Art von Licht­kunst soll ein Gegen­ge­wicht zur lau­ten Über­ins­ze­nie­rung in unse­rem Alltag set­zen. Es geht nicht um eine auf­merk­sam­keits­hei­schende Wir­kung, son­dern um das inten­si­vere Hin­ein­hö­ren unter Hin­zu­nahme meiner Kunst.

»Robert Seidel und das Orchester werden für unser Publikum neue Resonanzräume kreieren. Dies halte ich für essenziell für die zukünftige Rezeption klassischer Musik.«

CARSTEN MÜLLER

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