Lise de la Salle verblüffte, begeisterte und verzauberte das Publikum mit ihrem Klavierrecital

Apotheose des Tanzes

Lise de la Salle, Foto: Stéphane Gallois
Lise de la Salle, Foto: Stéphane Gallois

Mit Lise de la Salle konnte die Jenaer Philharmonie in dieser Spielzeit eine international renommierte Klaviervirtuosin als ARTIST IN RESIDENCE gewinnen. Vor allem ihre 2015 erschienene CD-Box, in der die Einspielung aller fünf Klavierkonzerte von Sergej Rachmaninow mit der Philharmonia Zürich unter Fabio Luisi enthalten ist, wird von Musikkennern sehr geschätzt. Die Jenaer Musikfreunde hatten bereits Gelegenheit, sie mit Rachmaninows „Rhapsodie über ein Thema von Paganini“, Gershwins „Rhapsody in blue“ und Mozarts Klavierkonzerten KV 271 und 466 zu hören. Wer diese Konzerte erlebt hatte, wusste: Das Klavierrecital mit Lise de la Salle würde ein herausragendes musikalisches Ereignis dieser Saison werden.

In der Tat hatte sich Lise de la Salle für ihr Klavierrecital am vergangenen Samstag etwas ganz Besonderes ausgedacht. Unter dem Motto „Shall we dance?“ hatte sie virtuose Klavierkompositionen mit tänzerischem Charakter zu einer „Anthologie des Tanzes“ vereint. Sie entführte die Zuhörer im Jenaer Volkshaus zunächst in ihre französische Heimat, später nach Ungarn, Rumänien und Russland, Argentinien, Andalusien und schließlich in die USA.

Die musikalische Reise begann mit Maurice Ravels „Valses nobles et sentimentales“, sieben Walzern und einem Epilog, die Lise de la Salle mit musikalischer Brillanz, Eleganz und beeindruckender Leichtigkeit spielte. Einen besseren Einstieg hätte sie nicht wählen können, denn in den Ravelschen Walzern konnte sie das Spektrum von verträumter Sinnlichkeit, schneidiger Eleganz bis zu vorbeihuschender Flüchtigkeit ausloten, konnte sie zeigen, wie kunstvoll die Walzerthemen im Epilog miteinander verwoben sind. Sie verstand es ausgezeichnet, vor allem im fünften und sechsten Walzer, den Wechsel von Verhaltenheit und Brillanz und den für den Wiener Walzer so typischen leichten Verzögerungseffekt hörbar werden zu lassen. Überhaupt war es immer wieder der Rhythmus, den sie stark akzentuierte, das Pulsieren der Musik, das Tänzerische, das sie hochvirtuos zu Gehör brachte. Ob es nun der Walzertakt in Camille Saint-Saëns‘ Etüde Nr. 6 und Alexander Skrjabins Valse op.38, der Rhythmus des Tangos bei Igor Strawinski und Astor Piazzolla, ob es Claude Debussys Mazurka oder Sergej Rachmaninows „Italienische Polka“ waren: Lise de la Salle formte sie zu Meisterwerken musikalischer Bewegung. Wie ihr das in Béla Bartóks „Rumänischen Tänzen“, Alberto Ginasteras „Argentinischen Tänzen“ und Manuel de Fallas „rituellem Feuertanz“ gelang, das war ein Triumph des Rhythmus.

Ganz besonders soll noch einmal hervorgehoben werden, mit welcher technischen Bravour und rhythmischen Rasanz Lise de la Salle den spanischen und argentinischen Tänzen im dritten „Spanish Influence“ überschriebenen Teil gerecht wurde. Ginasteras „Argentinische Tänze“ sind nicht häufig im Konzertsaal zu hören. Es war ein Genuss und eine Freude zu hören, mit welcher Intensität und welchem Rhythmusgefühl Lise de la Salle sie spielte, wie sie den Sechs-Achtel-Takt des zweiten Satzes mit seiner leisen Melancholie auskostete und temperamentvoll und furios den Finalsatz gestaltete. Ebenso furios gelang ihr Manuel de Fallas „Danza ritual del fuego“ (was viel schöner klingt als die deutsche Übersetzung „ritueller Feuertanz“). Diesen Tanz hat de Falla später in sein bekanntes Ballett „Der Liebeszauber“ übernommen. Natürlich durfte Astor Piazzollas berühmter „Libertango“ nicht fehlen. Piazzolla nahm sich die Freiheit, den traditionellen Tango Argentino zum Tango Nuevo weiterzuentwickeln. Ist er auch nicht mehr für den Tanzboden geeignet, so spürt man doch beim Zuhören den Tango-Rhythmus. Für diesen Tango Nuevo fand Lise de la Salle genau den richtigen Ton. Bereits nach jedem der drei Tänze im „Spanish Influence“ überschriebenen Teil reagierte das Publikum enthusiastisch.

Im letzten Teil des Abends spürte Lise de la Salle mit Gershwins „When do we dance?“, William Bolcoms „Graceful Ghost Rag“ und Fats Wallers „Viper’s Drag“ dem „amerikanischen Traum“ nach. Leicht und doch mit ungeheurem Drive erklangen diese von Ragtime und Jazz beeinflussten Stücke, ehe Lise de la Salle mit „Tea for Two“, einem der Jazzstandards des 20. Jahrhunderts, das Konzert offiziell beschloss. Das Jenaer Publikum feierte sie mit Bravos und stehenden Ovationen, für die sie sich mit einer Zugabe von Bach bedankte.

Es war die technische Perfektion und Brillanz, mit der Lise de la Salle das Jenaer Publikum verblüffte, begeisterte und verzauberte. Zugleich war es die Bestätigung, dass ihre musikalische Konzeption für ihr Klavierrecital voll und ganz aufgegangen ist. Lise de la Salle traf mit ihrem Programm und vor allem mit ihrem Spiel einen Nerv des Publikums, ein Lebensgefühl, für das Ira Gershwin treffende Worte fand und sein Bruder George eine ebenso treffende Musik schrieb:

„Das Leben ist kurz, wir werden älter
Sei kein Verlierer
Du solltest lieber tanzen, kleine Lady, tanzen, kleiner Mann
Tanz, wann immer du kannst.“

Dr. Dietmar Ebert

Zurück