Alexej Gerassimez als Solist in Tan Duns „Tears of Nature“ und neuer ARTIST IN RESIDENCE gefeiert

„Evolution der Musik“ war das Pro­gramm des ersten KLANGS VON JENA der Jenaer Phil­har­mo­nie in der Spiel­zeit 2022.2023 über­schrie­ben. Höhe­punkt war das Nach­mit­tags­kon­zert am 16. Okto­ber um 17:00 Uhr. Es versprach die erste Begeg­nung mit dem neuen ARTIST IN RESI­DENCE, dem Schlag­werker Alexej Geras­si­mez. Er ist dem Jenaer Publi­kum bes­tens bekannt, spielte er doch im Jahr 2019 „Frozen in Time“ des isra­eli­schen Kompo­nisten Avner Dorman. Viele Konzert­be­su­che­rin­nen und -besucher aller Alters­stufen hat­ten sich im Ernst-Abbe-Saal des Jenaer Volks­hau­ses versam­melt, um ein außer­ge­wöhn­li­ches Kon­zert zu erle­ben. Alexej Geras­simez spielte das Schlag­werk­kon­zert des chi­ne­si­schen Kom­po­nis­ten Tan Dun, in dem er drei große Natur­katas­tro­phen ver­ar­bei­tet hat: das große Erd­beben in Sichuan (2008), den Tsu­nami in Japan (2011) und die katas­tro­pha­len Schä­den, die der Hurri­kan Sandy 2012 in Haiti, Kuba und den Ver­ei­nig­ten Staa­ten anrich­tete. Alle drei Sätze sind mit der Vor­trags­be­zeich­nung „Misterioso“ über­schrie­ben und in chro­no­lo­gi­scher Folge nach den Jahres­zei­ten Sommer, Herbst und Winter benannt.

Zu Beginn des ersten Sat­zes stand Alexej Geras­si­mez ganz vorn auf der Bühne und schlug zwei kleine Steine aufein­ander. Er hat sie nach langem Suchen im Gleis­bett der Ber­liner S-Bahn ge­fun­den. Mit diesem leisen Aufein­an­der­schla­gen zweier klei­ner Steine erzeugte der Solist eine un­glaub­li­che Span­nung und zu­gleich ein Gefühl für die Be­droht­heit der uns umge­ben­den Natur. Wäh­rend lang­sam das von Chris­toph Alt­staedt gelei­tete, bestens dispo­nierte Phil­har­moni­sche Orches­ter ein­setzte, bewegte sich Alexej Geras­si­mez lang­sam durch den gesamten Orches­ter­raum zu den sieben Pauken, die das zen­trale Instru­ment des ersten Sat­zes bil­den. Es war fas­zi­nie­rend zu erleben, wie er den Pau­ken leise, fast zart zu nen­nen­de und dann wieder laute, kraft­volle Töne ent­lockte. Das Zusammen­spiel mit den Schlag­wer­kern der Jenaer Phil­har­mo­nie gelang aus­ge­zeich­net. Bis­weilen war ein regel­rechter „Zusammen­klang“ ver­nehm­bar.

Der zweite Satz, der den „Unter­ti­tel“ „Tears of Nature“ trägt, begann mit einem Kla­ge­ge­sang auf dem Marim­ba­phon. Als Zuhörer kann man nur stau­nen, mit welcher Diffe­ren­zier­theit und Aus­drucks­kraft Alexej Geras­si­mez dem Marim­ba­phon ganz unter­schied­liche Töne ent­lockte. Er verfügt nicht nur über eine virtu­ose Schlag­tech­nik, son­dern er erwies sich als Schlag­werker, der auf seinem Instru­ment Klänge so erzeugte und mischte, dass sie sich zu Ge­schich­ten fügten.

Im dritten, mit „Winter“ über­schrie­be­nem Teil war dieses musi­ka­li­sche Erzählen beson­ders deut­lich zu spüren, vor allem weil Alexej Geras­si­mez nun sein gesam­tes Instru­men­ta­rium ein­setzen und sein Können voll ent­fal­ten konnte. Er kombi­nier­te Klänge des Marim­ba­phons, des Vibra­phons, der Trommeln, des Glocken­spiels und meh­re­rer Gongs so, dass es eine Freude war, seinen Soli und dem Zusam­men­spiel mit dem Orches­ter zuzu­hören, einer Musik, die sich immer mehr zu einem ener­gie- und span­nungs­ge­la­denen Tanz ent­wickel­te, ehe sie mit einem letz­ten gewal­ti­gen Schlag ver­stummte. Alexej Geras­si­mez und das Jenaer Phil­har­mo­ni­sche Orches­ter haben unter der Stab­füh­rung von Chris­toph Alt­staedt Tan Duns „Tears of Nature“ zu einer groß­ar­ti­gen Auf­füh­rung ver­hol­fen. John Cage hat ein­mal gesagt: „In der Musik von Tan Dun wird offen­sicht­lich, dass der Klang eine Stimme der Natur ist, in der wir leben, eine Stimme, der wir lange nicht zuge­hört haben.“

Das Publi­kum dankte Alexej Geras­si­mez, dem Jenaer Phil­har­mo­ni­schen Orches­ter und Chris­toph Alt­staedt mit begeis­ter­tem, lang anhal­ten­dem Applaus. Ehe Alexej Geras­si­mez auf der Snare Drum mit seiner Komposition „Asven­tura“ noch einmal sein virtu­oses Können unter Beweis stellte, sagte er, dass es ihm eine Freude und Ehre sei, ARTIST IN RESI­DENCE der Jenaer Phil­har­mo­nie zu sein und dass sich die Stadt glück­lich schätzen könne, über ein so gutes Orches­ter zu verfügen.

Das konnten die Konzert­be­suche­rinnen und -besucher im zwei­ten Teil des Kon­zerts nach­voll­ziehen. Zunächst stand mit John Adams‘ „The Chair­man Dances“ ein Fox­trott für Orchester auf dem Pro­gramm. Dieser Fox­trott ist John Adams‘ Oper „Nixon in China“ ent­nom­men, die zu den bedeu­tend­sten musik­dra­ma­ti­schen Kompo­si­tio­nen des aus­ge­hen­den 20. Jahr­hun­derts zählt. Das Jenaer Phil­har­mo­ni­sche Orchester und Chris­toph Alt­staedt stell­ten bereits mit John Adams‘ Fox­trott ein­drucks­voll unter Beweis, wie sehr ihnen das Genre des „Sym­pho­ni­schen Tanzes“ lag. Das gilt in noch stär­ke­rem Maße für die Sym­pho­ni­schen Tänze aus Leo­nard Bern­steins welt­be­rühm­ter „West Side Story“, die zum Abschluss des Kon­zerts erklangen. Die feinen, leisen, hoff­nungs­vol­len Klänge in „Some­where“ beein­druck­ten ebenso sehr wie der ener­gie­ge­la­dene „Mambo“. Leonard Bern­steins legen­däre Melo­dien klangen wie eine „Auf­for­de­rung zum Tanz.“

Das Kon­zert­publi­kum spen­dete langen, herz­li­chen Beifall und dankte für einen Sonn­tag­nach­mit­tag, der in die Annalen des Orches­ters ein­gehen wird. Und bereits jetzt sei auf die Kon­zerte am 27. und am 30. April 2023 mit dem ARTIST IN RESI­DENCE Alexej Gerassi­mez hingewiesen.

Dr. Dietmar Ebert

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