Ein Geflecht der Sing- und Instrumentalstimmen

Ein Fest der Poesie

Simon Gaudenz und die Jenaer Philharmonie, Foto: Christoph Worsch
Simon Gaudenz und die Jenaer Philharmonie, Foto: Christoph Worsch

Das Jenaer Orchester sitzt auf der Bühne des Volkshauses. Simon Gaudenz steht am Dirigentenpult. Doch er hebt den Taktstock nicht. Plötzlich erklingt hinter der Bühne ein „Fernchor“. Der Jenaer Madrigalkreis singt unter der Leitung von Berit Walther und begleitet von Lukas Baumann (Piano) Morton Lauridsens Chanson „Dirait-On“ nach einem Gedicht von Rainer Maria Rilke. Der 1943 in Colfax als Sohn dänischer Einwanderer geborene Komponist vertonte 1993 fünf Gedichte Rilkes aus den Jahren 1905 und 1906, als der Dichter in Paris Privatsekretär Auguste Rodins war und er in französischer Sprache dichtete. Zugleich ist damit ein feiner Bezug zur Universität Jena verbunden, die Auguste Rodin 1905 das Ehrendoktorat verlieh. Fünf Jahre später las Rainer Maria Rilke auf Einladung der Jenaer Freistudenten in den „Rosensälen“. Das fünfte der „chansons des roses“ von Morton Lauridsen bekommt in der Interpretation des Jenaer Madrigalkreises etwas Schwebendes und Filigranes. Kaum ist der letzte Ton verklungen, hebt Simon Gaudenz den Taktstock und „Dirait-On“ geht unmittelbar in Debussys „Claire de lune“ über. Ein genialer Einfall! „Claire de lune“ hatte Claude Debussy 1890 ursprünglich für Klavier komponiert, 1922 legte sein Schüler André Caplet eine Orchesterfassung vor. In der Interpretation der Instrumentalistinnen und Instrumentalisten der Jenaer Philharmonie offenbarte sich die ganze Schönheit von Claude Debussys Komposition.

Wu Wei, der Virtuose auf der Sheng, in Enjott Schneiders „Yin & Yang für Sheng und Orchester“

Im Anschluss war Wu Wei als Solist in Enjott Schneiders Konzert „Yin &Yang für Sheng und Orchester“ zu erleben. Simon Gaudenz hatte es am 19. September 2017 beim „Festival Europe-Sibiria-Asia“ in Krasnoyarsk uraufgeführt. Enjott Schneider hatte das Konzert eigens für das Festival in Krasnoyarsk komponiert. Wie Wu Wei auf der Sheng, der chinesischen Mundorgel, spielte, wie er die Wandlungen vom Hellen zum Dunklen, vom Negativen zum Positiven vollzog, wie er alle Schattierungen menschlicher Gefühlslagen zum Ausdruck brachte und welche Töne er dabei seinem Instrument zu entlocken wusste, das verdient höchste Bewunderung und riss das Publikum zu Beifallsstürmen hin. Ein großes Kompliment für den Virtuosen auf der Sheng, der mit einer Zugabe noch einmal unter Beweis stellte, welche Klänge und Klangfarben er auf seinem Instrument erzeugen kann.

Robert Schumann – der musikalische Poet

Zu Beginn des zweiten Teils hatte der Jenaer Madrigalkreis im Treppenhaus Aufstellung genommen. Unter dem Dirigat von Berit Walther erklang Robert Schumanns „An die Sterne“ (Nr.1) nach einem Text von Friedrich Rückert. Der Dichter und Orientalist war 1811 kurze Zeit als Dozent in Jena tätig. Vielleicht gelang es Schumann gerade in seinen vier doppelchörigen Gesängen op. 141, dem „An die Sterne“ zugehören, die Verschmelzung von Dichtung und Musik zu erreichen. In der Interpretation des Jenaer Madrigalkreises unter Berit Walther wurde ein weiter Klangraum aufgespannt, der förmlich in den Großen Volkshaussaal hineinragte. Simon Gaudenz ließ den Gesang unmittelbar in die Zweite Sinfonie in C-Dur, op. 61 übergehen. So erschloss sich Schumanns Sinfonie weniger aus dem Hintergrund seiner Biographie, sondern eher aus dem, was Jean Améry die „geistig-seelische Gestalt“ eines Künstlers genannt hat. Sie ist im Falle Robert Schumanns vor allem dadurch gekennzeichnet, Poesie in Musik zu verwandeln. Ohne Zweifel ist dieses Streben Schumanns eng verwandt mit dem, was die Jenaer Frühromantiker die Suche nach der Universalpoesie genannt haben. Großartig gelang Simon Gaudenz und den Musikerinnen und Musikern des Philharmonischen Orchesters die Aufführung von Schumanns 2. Sinfonie. Sie ist noch nie so frisch und zugleich tiefgründig poetisch im Jenaer Volkshaus erklungen. Bereits im weit gespannten Kopfsatz mit seiner Eingangsfanfare war zu spüren, dass die Zuhörerinnen und Zuhörer im ausverkauften Jenaer Volkshaus Außergewöhnliches erwartete. Diesen Eindruck verstärkte das Scherzo mit seinen vorbeihuschenden Figuren in den Holzbläsern. Voller gedanklicher und emotionaler Tiefe erklang das schmerzlich-schöne, der Welt entrückte visionäre Adagio mit dem wunderbaren Oboen-Solo (Gunter Sieberth). Im Finalsatz gelang es Simon Gaudenz hörbar werden zu lassen, wie sich das musikalische Geschehen lichtet, Beethovens Liederkreis „An die ferne Geliebte“ zitiert und die Musik zu einem bewegenden Finale geführt wird. Ein Fest der Poesie!

Dieses Konzert hat sehr deutlich gezeigt, zu welch künstlerisch anspruchsvollen Leistungen die Jenaer Philharmonie fähig ist, wenn Chor- und Instrumentalwerke wirkungsvoll kombiniert werden.

Ein herzliches Dankeschön an Wu Wei, alle Sängerinnen und Sänger des Madrigalkreises, an alle Instrumentalistinnen und Instrumentalisten des Orchesters und natürlich an Berit Walther und Simon Gaudenz.

Dr. Dietmar Ebert

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