Ein Konzert ohne Dirigent?

Isabelle van Keulen
Isabelle van Keulen

Das Konzert mit der international geschätzten Geigerin Isabelle van Keulen zeigte: Nicht immer braucht es einen Dirigenten. Die Kunst der Führung und Zusammenführung der Instrumentalstimmen lässt sich bei Kompositionen für Streichorchester sehr gut vom Pult der Konzertmeisterin ausüben. Das stellten Isabelle van Keulen und die Streicher der Jenaer Philharmonie zunächst in Edward Elgars Serenade in e-Moll op. 20 aus dem Jahr 1892 eindrucksvoll unter Beweis.

Elgars Frühwerk lebt von einer Homogenität des Klangs. Die drei Sätze werden durch ein Grundmotiv zusammengehalten. Isabelle van Keulen und das Streichorchester der Jenaer Philharmonie überzeugten durch einen warmen, vollen Streicherklang und vermittelten dem Publikum im fast ausverkauften Volkshaus einen Eindruck vom Frühwerk des britischen Komponisten Edward Elgar, der in Deutschland etwas vorschnell auf „Pomp and Circumstance“ und die „Enigma-Variationen“ reduziert wird. Mit der Serenade op. 20 lernten die Jenaer Musikfreunde ein spätromantisches, subtiles Werk Elgars kennen und schätzen, in dem er eine ganz eigene Tonsprache entwickelt hat.

 

„Mozarts Musik begann zu lächeln“

Frisch, heiter und mit großer Musizierfreude spielten Rosa Donata Sailer und Isabelle van Keulen Mozarts Concertone für zwei Solo-Violinen und Orchester in C-Dur, KV 190. Es war eine Freude zu hören, wie die beiden Solo-Violinen konzertierten, sich umspielten, heiter und tänzerisch, und mit den Stimmen des Solo-Cellos und der Solo-Oboe (Jörg Schneider) bisweilen ein kleines Solistenquartett bildeten, das voller Leichtigkeit und Frohsinn in einen Wechselgesang mit dem gesamten Orchester eintrat. Wie Isabelle van Keulen glanzvoll ihren Solopart spielte und zugleich das Orchester führte, verdient höchsten Respekt. Diese selten gespielte „sinfonia concertante“, die zum ersten Mal in Jena erklang, bezieht ihren besonderen Reiz aus der Verdopplung des Solo-Instruments und dem solistischen Einsatz von erster Oboe und erstem Cello. Als Mozart seine Concertone komponierte, war er gerade einmal 18 Jahre alt, er war ein aufstrebender „Compositeur“, überall gern gesehen, und die Welt stand ihm offen. Ein „Musensohn“, um mit Goethe zu sprechen, und davon singen und klingen alle „Orchesterstimmen“.
Isabelle van Keulen, Rosa Donata Sailer und alle Solisten und Instrumentalisten ließen sich von dem „jugendlich-genialen“ Mozart inspirieren. Wenn Isabelle van Keulen die Tradition der Mozart-Zeit aufgreift und vom Pult der Konzertmeisterin die Stimmen koordiniert, so erreicht sie damit ein hohes Maß an Lebendigkeit und Frische. „Mozarts Musik begann zu lächeln.“

Lutosławskis „Trauermusik“ – Ein Meisterstück

Doch nicht allein bei Musik der Wiener Klassik funktioniert das „Dirigat vom ersten Pult“. Ein Meisterstück vollbrachten Isabelle van Keulen und das Jenaer Streichorchester mit der Aufführung von Witold Lutosławskis „Trauermusik in memoriam Béla Bartók“. Witold Lutosławskis „Muzyka zalobna“ (Musique funèbre) entstand zwischen 1954 und 1958. Uraufgeführt wurde sie 1958 in Kattowitz. Mit dieser Komposition fand der polnische Komponist internationale Anerkennung. Isabelle van Keulen und das Streichorchester der Jenaer Philharmonie fanden zu einer großen Intensität, ließen klar die Struktur mit ihrer Reihentechnik (Prolog und Epilog) und die Anklänge an Bartóks „Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta“ erkennen und spannten weit den Bogen vom Prolog zum Epilog.

„Die Haffner-Sinfonie“, als ob sie im Moment entstünde

Wolfgang Amadeus Mozarts Sinfonie in D-Dur KV 385, seine „Haffner-Sinfonie“, mit den beiden vorwärtsdrängenden, pulsierenden Ecksätzen und den serenaden-förmigen Mittelsätzen ist noch nie so frisch und lebendig in Jena erklungen. Vom Pult der Konzertmeisterin inspirierend geführt, fand das Orchester zu einem jugendfrischen Klang. Gewiss, auch zur Entstehungszeit der „Haffner“-Sinfonie (1782) wurde sie noch ohne Dirigent gespielt. Dass unter der inspirierenden Leitung Isabelle van Keulens Mozarts Sinfonie so frisch und heiter erklang, resultiert wohl einmal daraus, dass sich Impulse vom Pult der Konzertmeisterin ganz rasch im gesamten Orchester verbreiten können. Zum anderen musizierten Isabelle van Keulen Mozarts „Haffner-Sinfonie“ so, als ob sie im Moment entstanden wäre.

Das Jenaer Publikum spendete herzlichen, nicht enden wollenden Beifall für Isabelle van Keulen, Rosa Donata Sailer und das Jenaer Orchester, das mit jedem Konzert auf’s Neue sein Publikum überrascht.

Dr. Dietmar Ebert

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