Artist in Residence Veronika Eberle: Strenge und Virtuosität in intensivem Spiel

Ein Konzert voller Klarheit und Frohsinn als gelungene Einstimmung auf eine „fröhliche, selige Weihnachtszeit“

Veronika Eberle, Foto: Askonas Holt
Veronika Eberle, Foto: Askonas Holt

Das Vorweihnachtskonzert der Jenaer Philharmonie wird den Besuchern dieses Konzertes durch seinen besonderen Charakter lange in Erinnerung bleiben. Es gehört zu den Neuerungen im Programm der Jenaer Philharmonie, dass Simon Gaudenz nicht nur das Orchester in voller Besetzung aufspielen lässt, sondern auch einzelne kleinere Ensembles vorstellt.

Blechbläser und Schlagwerker mit Henri Tomasis „Fanfares liturgiques"

So spielten zu Beginn die Blechbläser und fünf Schlagwerker unter der Leitung von Simon Gaudenz Henri Tomasis zunächst als „Fanfares concertantes“, später als „Fanfares liturgiques“ bezeichnete Komposition. 1947 unter Leitung des Komponisten in Monte Carlo uraufgeführt, enthält sie drei Sätze aus Tomasis Oper „Miguel Mañara“ und den neu komponierten 4. Satz einer nächtlichen Karfreitagsprozession. Wie die vier Hornistinnen und Hornisten, die ebenfalls vier Trompeter und vier Posaunisten, stehend das viersätzige Werk musizierten, das war bewundernswert. Sitzend brachte Tubist Bruno Osinski die tiefen Töne ein, und die fünf Schlagwerker sorgten für die gelungene Mischung zwischen Blechbläser, Trommel-, Pauken- und übrigen Schlagwerkklängen. Es war ein großes Erlebnis zu sehen und zu hören, mit welcher Spielfreude und technischen Makellosigkeit sie alle das selten zu hörende Werk aufführten, wie Martin Zuckschwerdt (Posaune) im „Evangile“ und Steffen Naumann (Trompete) in „Apocalypse“ ihre Soli bliesen, wie ein ausgewogener Klang zwischen Soli und vollem Blech entstand, und wie alle im 4. Satz, eben der nächtlichen Karfreitagsprozession, zu großer Form aufliefen. Simon Gaudenz sei Dank gesagt, dass er das Experiment gewagt und es geschafft hat, den Gesamtklang fein auszubalancieren.

Solo für Veronika Eberle – Bachs Partita in d-moll, BWV 1004

Allein auf der großen Bühne füllte Veronika Eberle (Artist in Residence) mit ihrer Dragonetti-Stradivari aus dem Jahr 1700 den Raum. Technisch brillant, stilsicher und voller Klarheit spielte sie Bachs tiefgründige Partita d-Moll, BWV 1004. Bereits in den ersten vier Sätzen ließ sie immer wieder Töne der Trauer anklingen, die sich in tröstliches Dur wandelten. Vor allem in der „Sarabande“ löste sie mit stilistischer Sicherheit schmerzlich dissonante Akkorde in rasche Läufe auf. Besonders bravourös gelangen ihr die geradezu italienisch klingenden Laufkaskaden in der „Giga“. Wie Veronika Eberle die berühmte „Ciaccona“ spielte, wie sie die italienischen, französischen und deutschen Einflüsse, die Bach in ihr verwoben hat, in ihrem Spiel differenziert zum Ausdruck brachte, berührte die Zuhörer zutiefst. Wie sie den ruhigen, konzentrierten Beginn der drei Abschnitte gestaltete und die Zuhörer miterleben ließ, wie in jedem der drei Teile sich das Spiel fantastisch steigert, um in den nächsten Abschnitt regelrecht „zu kippen“, wie sie Strenge und Virtuosität in ihrem intensiven Spiel verband und den großen Bogen der Form ahnen ließ, das war ein zutiefst beglückendes Erlebnis.

Holzbläser mit Mozarts „Gran Partita“, KV 361

Zum Abschluss spielten die Holzbläser der Jenaer Philharmonie unter dem inspirierenden Dirigat von Simon Gaudenz Mozarts Grand Partita, KV 361, ebenfalls im Stehen. Allein Przemysław Bobrowski am Kontrabass genoss auf Grund der Größe seines Instruments das Privileg, im Sitzen zu spielen. Befreit von aller Schwere der Interpretationstradition des 19. Jahrhunderts, wirkte Mozarts Musik spielerisch und heiter. Simon Gaudenz und seine Instrumentalisten brachten Mozarts Musik geradezu zum Swingen. Mit der Besetzung durch zwei Oboen, zwei Klarinetten, zwei Bassetthörner, vier Waldhörner, zwei Fagotte und Kontrabass ist sie eine „große Bläserserenade“, eine „Gran Partita“, wie sie später genannt wurde. In dieser Art „historisch informierter Aufführungspraxis“, so jugendlich-frisch, ist Mozarts Musik bisher in Jena nicht erklungen. Die Zuhörer spürten geradezu die Befreiung, die Mozart nach der Zeit beim Salzburger Erzbischof in seinen ersten Wiener Jahren empfunden haben muss. Mozarts „Gran Partita“ erklang in der Interpretation der Jenaer Holzbläser unter ihrem Chefdirigenten zu Herzen gehend im Adagio und in der Romanze, graziös im höfischen und ausgelassen im „Ländler-Menuett“. Das Publikum war so begeistert, dass Simon Gaudenz und seine Musiker das heiter-beschwingte Rondo-Finale wiederholten.

„Vertraut den neuen Wegen“

Ein solches Vorweihnachtskonzert ist in Jena eine Novität. Was Veronika Eberle als Artistin in Residence, die Holzbläser, die Blechbläser und Schlagwerker und ihr Chefdirigent Simon Gaudenz geleistet haben, verdient höchste Anerkennung, denn sie haben ein Konzert gestaltet, das voller Klarheit und Frohsinn eine gelungene Einstimmung auf eine „fröhliche, selige Weihnachtszeit“ war. Allen Instrumentalistinnen und Instrumentalisten, allen Chorsängerinnen und Chorsängern, allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Jenaer Philharmonie und vor allem Chefdirigent Simon Gaudenz ein herzliches Dankeschön für den Beginn einer erfolgreichen Konzertsaison. Wie heißt es doch in einem neuen Text auf ein altes Kirchenlied von Klaus-Peter Hertzsch aus dem Jahr 1989: „Vertraut den neuen Wegen!“

Dr. Dietmar Ebert

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