Maximilian Hornung und die Jenaer Philharmonie

Ein musikalisch bewegendes Abschlusskonzert

Maximilian Hornung, Simon Gaudenz und Musiker*innen der Jenaer Philharmonie, Foto: Jenaer Philharmonie, Christoph Staemmler
Maximilian Hornung, Simon Gaudenz und Musiker*innen der Jenaer Philharmonie, Foto: Jenaer Philharmonie, Christoph Staemmler

Nun, da sich die Spielzeit 2020.2021, eine Spielzeit mit ganz wenigen Live-Konzerten und ein paar Konzerten, die im Radio oder als Livestream gesendet wurden, ihrem Ende zuneigt, war es eine sehr schöne Idee, ein Konzert aufzeichnen zu lassen, in dem fast alle Instrumentengruppen zu hören waren und vielen Instrumentalist*innen die Möglichkeit gegeben wurde, noch einmal mit ihrem und unserem ARTIST IN RESIDENCE, Maximilian Hornung, zu musizieren. Auch wenn wir Maximilian Hornung nur einmal live als Cellist und Dirigenten erleben durften, so ist die Interpretation des Konzerts für Violoncello und Orchester von Guillaume Connesson, das von MDR Kultur übertragen wurde, den Jenaer Musikfreunden ebenso präsent wie das Kammerkonzert mit Herbert Schuch, das von einem ausgezeichneten professionell arbeitenden Filmteam aufgenommen wurde.

Zu Beginn des Konzerts spielten Steffen Naumann, Alexander Suchlich, Viktor Spáth (Trompete), Martin Zuckschwerdt, Carl-Philipp Kaptain, Douglas Murdoch (Posaune) und Bruno Osinski (Tuba) unter der Leitung von Simon Gaudenz Robert Schumanns „Vier doppelchörige Gesänge“ op. 41 aus dem Jahr 1849. Es ist noch in guter Erinnerung, wie der Jenaer Madrigalkreis diese „Gesänge“ nach Texten von Friedrich Rückert und Joseph Christian von Zedlitz gesungen und gezeigt hat, wie das, was einst mit der Jenaer Frühromantik begann, in Schumanns fruchtbarstem Schaffensjahr 1849 eine enorme Steigerung erfuhr. Nun durften wir die vier doppelchörigen Gesänge in der Bearbeitung für Blechbläser von Robert Cox hören. Simon Gaudenz ließ die Blechbläser der Jenaer Philharmonie im Stehen musizieren. Dadurch kann sich der Klang freier im Raum entfalten. Das war auch medial nachvollziehbar. Die Blechbläser der Jenaer Philharmonie beeindruckten nicht nur durch ihr präzises Spiel und ihre starke Ausdruckskraft, sondern es gelang ihnen auch, das polyphone Stimmengeflecht Schumanns in den vier Liedern „An die Sterne“, „Ungewisses Licht“, „Zuversicht“ und „Talismane“ noch deutlicher hörbar werden zu lassen, als es ein Chor vermag. Wem allerdings der Text fehlte, kann ihn gern nachlesen.

Nachdem die Blechbläser gezeigt hatten, dass sie trotz Pandemie ihr hohes musikalisches Können bewahrt haben, spielten im Anschluss daran Gunter Sieberth und Andrea Abé (Oboe), Christof Reiff und Vincent Nitsche (Klarinette), Manfred Baumgärtner, Matthias Schottstädt und Hedwig Dworazik (Fagott), Anna Magdalena Euen, Eberhard Sykora und Hsin-Ju Lee (Horn) sowie Christoph Staemmler (Kontrabass) Antonin Dvořáks Serenade d-Moll, op. 44. Am Violoncello war Maximilian Hornung zu erleben. Er leitete zugleich vom Solistenpult das Orchester. Doch es schien, als sei das überhaupt nicht nötig. Dvořáks Musik erblühte aus einem Gefühl der Gleichgestimmtheit. Gemeinsames Atmen, Musizieren, Steigern, Zurücknehmen – all das erweckte den Eindruck, als ob die d-Moll-Serenade des böhmischen Meisters im Moment entstünde. Maximilian Hornung und dem Jenaer Kammerorchester gelang eine sehr transparente, frische und sprühende Interpretation der d-Moll-Serenade mit ihrem einleitenden Marsch, dem Wohlklang verströmenden Menuett, in dem sich eine eher gemächliche Sousedská und ein schneller Furiant verbergen, dem romantisch-verträumten Andante und dem furiosen Finalsatz. Maximilian Hornung und das Kammerensemble der Jenaer Philharmonie haben im Andante zum Träumen eingeladen und im zweiten und vierten Satz die tänzerischen Rhythmen so akzentuiert, dass es wie eine „Aufforderung zum Tanz“ klang.

Im folgenden Concertino für Violoncello und Streichorchester op. 43 von Mieczysław Weinberg war Maximilian Hornung als Solist zu erleben. Simon Gaudenz leitete ein Streichorchester, in dem Katharina-Viktoria Georgiev, Antje Bernewitz, Felix Unger, Svetoslav Kitanov und Olga Jemeljanowa (1. Violine), Johannes Tauber, Gudrun Plötner und Christoph Hilpert (2. Violine), Thomas Cutik, Philine Blachny (Viola), Henriette Lätsch und Marya Bobrovnikova (Violoncello) sowie Ralf Noack (Kontrabass) ihre Instrumentalstimmen vereinigten. Simon Gaudenz ließ die Geiger*innen im Stehen spielen. Weinberg hat sein kleines, erst 2016 wiederentdecktes Cello-Konzert im Jahr 1948 geschrieben. Als Hörer meint man zu spüren, wie die Schrecken des Krieges und des Holocaust nachzittern und zugleich durch das Aufleben des Stalinschen Terrors wieder Situationen der Bedrohung und Gefährdung entstehen. Doch auch Kräfte des Widerstehens, des Durchhaltens, des Leben-Wollens sind hörbar. So wechseln traurige, melancholische Klänge, wie wir sie im Adagio hören, mit fast expressiv zu nennenden Aus- und Aufbrüchen. Die Mittelsätze sind rhythmisch stark akzentuiert, vor allem der „Allegro vivace“ überschriebene dritte Satz mit seinem vorwärts treibenden Rhythmus hinterließ eine starke Wirkung. Der Finalsatz ist wieder ein Adagio. Maximilian Hornung hat ihn als einen großen Klagegesang interpretiert, der sich aus der Tiefe kommend in immer höhere Sphären schwingt, ehe er langsam erstirbt. Solist, Dirigent und das bestens disponierte Streichorchester zeigten, dass Mieczysław Weinbergs Concertino zu den Cellokonzerten gehört, die für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts prägend sind. Ich habe es zum ersten Mal gehört und bin sowohl durch die Ausdruckstiefe des Spiels von Solist und Orchester, als auch durch die rhythmische Prägnanz, die Simon Gaudenz stark herausgearbeitet hat, sehr beeindruckt. Für mich war Weinbergs Cello-Konzert die Entdeckung des Abends.

Eine weitere Entdeckung war Leo Weiners Romanze für Violoncello, Harfe und Orchester op. 29 aus dem Jahr 1949. Nur ein Jahr später als Weinbergs Concertino entstanden, knüpft sie geradezu bruchlos an spätromantische Traditionen an. Judith Renard (Harfe) übernahm neben Maximilian Hornung den zweiten Solopart. In dem von Simon Gaudenz geleiteten Orchester spielten Rosa Donata Milton, Gabriele Kersten, Annette Williams, Bettina Wappler und Jeannina Gutiérrez de Sommer (1. Violine), Solveig Mathe, Martin Herz, Weronika Tadzik und Verena Ochanine (2. Violine), Christian Götz, Monika Steinhöfel und Anne Schuster (Viola), Alma-Sophie Starke und Bernd Hammrich (Violoncello) und Przemysław Bobrowski (Kontrabass). Es war eine Freude zu hören, wie Maximilian Hornung die Melodien in Leo Weiners Romanze aufblühen ließ, wie der Gesang des Cellos von Harfenklängen umspielt wurde und das Streichorchester dem Soloinstrument einen Klangteppich unterlegte.

So schön es gewesen wäre, eines der großen Cello-Konzerte von Maximilian Hornung gespielt zu hören, so gut war es, als Ausgleich kleinere Werke für Violoncello zu hören, die das Jenaer Publikum sonst kaum kennengelernt hätte.

Zum Schluss spielte das Streichorchester in derselben Besetzung wie in Leo Weiners Romanze unter der Leitung von Simon Gaudenz Béla Bartóks „Rumänische Volkstänze“. Bartók hat sie 1915 komponiert und zwei Jahre später orchestriert. Am Samstagabend erklangen sie in einer Fassung von Arthur Willner für Streichorchester aus dem Jahr 1937. Man sah und hörte die Freude, die es den Instrumentalist*innen und Simon Gaudenz bereitete, diese durch Bartóks Volksmusikforschungen inspirierten Tänze aus Siebenbürgen spielen zu dürfen. Die „Rumänischen Tänze“ beginnen mit einem Stabtanz der jungen Männer, auf den ein Rundtanz aus Torontal folgt. Erst danach vereinen sich die Paare zu einer Art Stampftanz. Danach folgt ein aus dem Dorf Butschum stammender Kettentanz. In der „Rumänischen Polka“ wechseln Zweier- und Dreier-Takt, ehe zwei Schnelltänze den Tanzreigen beschließen. So, wie das Streichorchester der Jenaer Philharmonie Béla Bartóks „Rumänische Tänze“ spielte, welchen Klangsinn es für die siebenbürgische Folklore entfaltete und wie prägnant es den Rhythmus der Tänze entfaltete, immer wieder durch Simon Gaudenz’ Dirigat befeuert, das ging in die „Beine“ und lud zum Tanzen ein.

Es war toll zu hören, dass das Orchester der Jenaer Philharmonie während der Pandemie nichts von seiner Klangqualität verloren hat. Die akustische Qualität der Aufnahme ist von einem hohen Standard. Leider lässt die Bildsprache und -regie zu wünschen übrig. Wenngleich einige sehr schöne Bilder entstanden sind (vor allem bei Mieczysław Weinbergs Konzert für Violoncello) frage ich mich, warum die Bildschärfe in unterschiedlichen Kameraeinstellungen nicht gleichmäßig ist, hinter ein paar Solisten Kabel-Salat im Bild ist, Simon Gaudenz das Schild „Notausgang“ über die Schulter schauen muss, bei jedem neuen Satz übermäßig starke Balken von rechts ins Bild laufen müssen und warum die Musik nicht „ausatmen“, verklingen darf. Was Bildsprache und -regie betrifft, so halte ich noch immer das Kammerkonzert von Maximilian Hornung und Herbert Schuch für maßstabsetzend.

Nun kann sich das Jenaer Musikpublikum wieder auf Live-Konzerte in der Villa Rosenthal und während der Kulturarena freuen. Und wir schauen ein bisschen neidisch nach Marburg, wo Maximilian Hornung und unser Orchester bereits wieder vor Publikum live spielen dürfen.

Bedingt durch die Pandemie hatte Maximilian Hornung so schlechte Karten wie vor ihm noch kein ARTIST IN RESIDENCE der Jenaer Philharmonie. Was er aber in Zusammenarbeit mit Simon Gaudenz und der Leitung der Jenaer Philharmonie daraus gemacht hat, verdient Respekt und Anerkennung! Die Konzerte mit Maximilian Hornung, auch wenn sie „nur“ medial vermittelt werden konnten, zeigen, was Musik vermag. Dafür ein herzliches Dankeschön und Auf Wiedersehen!

Dr. Dietmar Ebert

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