Die Jenaer Philharmonie spannte unter dem inspi­rie­ren­den Dirigat von Simon Gaudenz einen großen Bogen von Scar­tazzinis „Omen“ und „Orkus“ bis hin zu den fünf Sätzen der 7. Sinfo­nie in e-Moll von Gustav Mahler

Foto: Jenaer Philharmonie, Eva Maria Liegl

Das Konzert am Freitag, den 12. Mai, begann mit Andrea Lorenzo Scar­tazzinis „Omen“, das Gustav Mahlers Sin­fo­nie Nr. 6 in a-Moll voran­ge­stellt ist. Aus einem „Zustand zeit­loser Innig­keit“ erhob sich wie ein Omen eine Stelle aus 13 Akkor­den. Sie wurden sieben Mal gespielt, gesummt und strebten wie eine spiral­förmige Melodie nach oben. Vor allem in den Holz­blä­sern breitete sich Unruhe aus, die sich auch durch den fein dosier­ten Einsatz von Schlag­werk­ins­tru­men­ten immer mehr zu einer Alarm­stim­mung steigerte und mit einem orches­tra­len Aufschrei endete, der direkt zu Scar­tazzinis neuer Kom­po­si­tion „Orkus“ über­lei­tete. Als Hörer schien es, als ob man von den Klang­strudeln, die in atem­losem Tempo auf­ein­an­der folgten, regel­recht in die Tiefe gezogen wird. Langsam beru­higte sich das drama­ti­sche Geschehen. Harfen­soli, Marimba- und Vibra­phon­klänge, filigrane Streicher­flächen und feine Holz­blä­ser-Soli imagi­nier­ten eine nächtliche Atmosphäre mit ihren Gefah­ren und Ruhe­punk­ten, ehe leise eine einsame Bass­kla­ri­nette verklang. Dann ging „Orkus“ bruchlos in den schleppend begin­nen­den Kopfsatz von Mahlers 7. Sin­fo­nie in e-Moll über und schlug zugleich den Bogen zu den beiden Nacht­mu­si­ken und dem spuk- und schatten­haf­ten Scherzo.

Bereits im Kopfsatz war zu spüren, wie die Jenaer Phil­har­mo­nie unter Simon Gaudenz einen fein­ner­vi­gen Mahler-Klang kreierte, der den kan­ta­blen und „ent­rück­ten“ Themen ebenso gerecht wurde wie den grellen Über­zeich­nun­gen und der Tendenz zum Extremen. Das betrifft die erste, schroffe Themen­gruppe mit ihren marsch- und auf­takt­ar­ti­gen Signalen ebenso wie die Zitate des „Alma-Themas“ der 6. Sin­fo­nie und die Erin­ne­rung an Motive der 2. und 3 Sin­fo­nie. Vor allem in den Passagen „seliger Rückschau und Erin­ne­rung“ schien es, als ob das Spiel der Instru­men­ten­gruppen sich in jugend­stil­ar­ti­gen Linien umschlin­gen würde.

Die „erste Nachtmusik“ begann mit einem Horn-Solo und glich einer musi­ka­li­schen Nacht­wan­de­rung, in der Natur­laute und serena­den­hafte Tonfälle wie im Traum mitein­an­der verschmol­zen. Durch das ständige Chan­gie­ren zwischen Dur und Moll entstand ein merkwür­di­ges harmo­ni­sches Zwielicht, eine Art Traumlicht. Aus dem Gewirr der Stimmen löste sich ein Marschlied mit Anklän­gen an Mahlers solda­tische „Wunder­horn­lieder“ (Revelge, Tambourg’sell), vor allem im Spiel der Holz­bläser waren Para­phrasen jüdischer Klage­ge­sänge zu hören und von Ferne waren kunst­ferne Klänge (Herden­glocken) zu verneh­men.

Foto: Jenaer Philharmonie, Eva Maria Liegl

Unter dem inspi­rie­ren­den Dirigat ihres Chef­di­ri­gen­ten spielte die Jenaer Phil­har­mo­nie das schat­ten­hafte Scherzo mit seinen spukhaft-huschen­den Klang­fi­gu­ren, seinem Spiel der Geister, seinen Wirbeln, seinem plötz­lichen Vorwärts­drän­gen, Ent­schwin­den und Zerfallen so hin­rei­ßend, dass es ganz natürlich als Gravi­ta­tions­zen­trum der gesamten Sin­fo­nie erschien. Das Scherzo schien wie eine „bizarre Revue dessen, was im Namen des Tanzes“ (H. Traber), wie Nietzsche ihn über­schwäng­lich pries, alles geschehen kann und doch nicht mit den Kräften des Verstands zu fassen ist.

Zart, sanft und voller Trost erklang die zweite Nacht­musik, in die Gitarren- und Man­do­li­nen-Klänge verwoben sind, so als ob es in diesem Andante amoroso wirklich darum ginge, ein Ständ­chen zu geben. Auf die Mandoline wird Mahler sowohl in der 8. Sin­fo­nie, als auch im „Lied von der Erde“ zurück­grei­fen, doch nie wieder werden die gezupften Klänge beider Instru­mente eine solche Domi­nanz gewinnen wie in dieser ebenso kan­ta­blen wie doppel­bö­di­gen Nacht­musik.

Nach diesen drei Nacht­sätzen hat Gustav Mahler im Finalsatz den hellen Tag kom­po­niert. Er wirkt wie in glei­ßen­des Licht getaucht. Simon Gaudenz und das Jenaer Phil­har­mo­ni­sche Orches­ter ver­lie­hen ihm mit seiner sieben­fachen Fanfare und seiner Collage, die bald an große Oper, bald an Militär­mär­sche, Operetten­schlager oder Klänge vom Land erinnerte, eine pracht­volle Klang­gestalt, die vor allem vom Glanz der Blech­blä­ser, dem Klang der Glocken und den Schlägen der Pauke geprägt ist. Und doch schien es ein wenig so, als ob in diesem „Sommer­tags­traum“ die Musik einer latenten Gefähr­dung ausgesetzt sei. Jubel oder Ironie? Oder vielleicht doch Beides?

Unter ihrem Chef­di­ri­gen­ten schlug die Jenaer Phil­har­mo­nie den Bogen von Scar­tazzinis „Omen“ und „Orkus“ zu Mahlers 7. Sin­fo­nie und fand zu einem volu­mi­nö­sen und trans­pa­ren­ten Klang, der durch eine Vielzahl von Soli und Zuspie­len ebenso geprägt war, wie durch einen samtig-warmen Streicher­klang, subtile Holz­blä­ser­fi­gu­ren, fest­li­chen Blech­blä­ser­glanz und den rhythmisch-exakten Einsatz von Pauken, Trommeln, Glocken und anderem Schlagzeug. Simon Gaudenz gelang es aus­ge­zeich­net, das alles in Balance zu halten, für einen Glanzpunkt im Jenaer Musik­leben zu sorgen und dem Publikum Gustav Mahlers 7. Sin­fo­nie in e-Moll, die zu Unrecht etwas im Schatten der anderen Sin­fo­nien steht, nahe zu bringen. Das ständige Halten der Spannung innerhalb des großen sin­fo­ni­schen Bogens und das genaue Musi­zie­ren einer Vielzahl instru­men­ta­ler Details sorgte für einen spezi­fi­schen Mahler-Klang der Jenaer Phil­har­mo­nie, an dem alle Instru­men­ta­lis­tin­nen und Instru­men­ta­lis­ten, alle Aus­hil­fen und vor allem die Stimm­füh­rer aller Instru­men­ten­gruppen ent­schei­den­den Anteil hatten.

Dr. Dietmar Ebert

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