Donnerstagskonzert № 9 am 05.06.2025
Krönender Abschluss des Mahler-Scartazzini-Zyklus
Die Solistinnen Nina Koufochristou und Evelyn Krahe, der von Berit Walther einstudierte Madrigalkreis, das in allen Instrumentengruppen hervorragende Orchester der Jenaer Philharmonie, Simon Gaudenz und vor allem Andrea Scartazzini wurden mehr als 15 Minuten lang mit Bravos, stehenden Ovationen und herzlichem Applaus gefeiert.
Am Donnerstag, dem 5. Juni, fand der Mahler-Scartazzini-Zyklus, den Simon Gaudenz seit 2018 mit der Jenaer Philharmonie erfolgreich gestaltet, seinen krönenden Abschluss. Andrea Lorenzo Scartazzini hatte bislang vor der Aufführung jeder Sinfonie Gustav Mahlers ein Stück komponiert, das sich ihr näherte, zu ihr hinführte und mit ihr in Dialog trat. Diesmal war es genau umgekehrt. Simon Gaudenz stellte dem gesamten Zyklus Scartazzinis den Kopfsatz aus Mahlers 10. Sinfonie voran. So gelang es, dass sich zwischen Mahlers Fragment und Scartazzinis Zyklus ein musikalischer Dialog entspinnen konnte, dass ein Spannungsbogen zwischen dem Schmerz des Abschiednehmens und dem Frieden innerer Einkehr entstehen konnte.
Mit Adagio, dem einzig vollendeten Satz aus Gustav Mahlers 10. Sinfonie in Fis-Dur, wurde das Publikum sofort in die Gedanken- und Gefühlswelt des Komponisten hineingezogen. Unter der präzisen, inspirierenden Stabführung seines Chefdirigenten ließ das Orchester ein differenziertes Klanggewebe entstehen. Choralartige Posaunenakkorde grundierten zunehmend den polyphonen Streicherklang. Erschütternd entlud sich der berühmte Neuntonakkord, in dem aller Schmerz des Menschen gebündelt scheint, ehe der Satz mit einem berührenden Abschiednehmen verklang.
Ohne Übergang erklang Andrea Scartazzinis zehnsätziger Zyklus. Inspiriert von Rilkes Gedicht „Archaischer Torso Apollos“ begann der erste Satz „Torso“ mit der Fanfare zweier Ferntrompeten (Steffen Naumann, Alexander Suchlich). Sie weckten das Orchester und ließen es zum „Klang-Körper“ werden. Ein großräumiger Oktavklang leitete zum elegischen „Epitaph“ mit seiner langen Solocello-Kadenz (Henriette Lätsch) über. Der bestens disponierte Madrigalkreis sang die Vertonung der Rilke-Verse:
„Denn wir sind nur die Schale und das Blatt.
Der große Tod, den jeder in sich hat,
das ist die Frucht, um die sich alles dreht.“
Danach erklang mit „Spiriti“ ein geisterhaftes, von huschenden Figuren getragenes Scherzo. Nun folgte mit „Incantesimo“ das von Nina Koufochristou großartig gesungene Lied eines einsamen Fischers an sein Liebchen. Dieses Eintauchen in eine weit entrückte Sehnsuchtswelt, das gleichwohl wie Mahlers 4. Sinfonie mit einer „Als-ob-Stimmung“ spielt, ging über in „Einklang“. Verströmte „Einklang“ ein hohes Maß an innerer Ruhe, in dem sich Mahlers „Einklang“ mit der Natur spiegelte, so schien „Omen“ von nahezu mythischen Vorahnungen und Schicksalszeichen geprägt zu sein und endete mit einem gewaltigen orchestralen Aufschrei. In „Orkus“ erzeugten Klangstrudel eine Abwärtsbewegung. Ein Stimmungswechsel ließ die Komposition in einer Art „Nachtstück“ enden. Es schien, als sei auf einmal der gestirnte Himmel sichtbar geworden. „Anima“ liegt Goethes „Gesang der Geister über den Wassern“ zugrunde. Gleich dem Kreislauf des Wassers schien Fausts Seele nach Erlösung suchend zwischen Himmel und Erde zu pendeln. Es gelang dem von Berit Walther einstudierten Madrigalkreis phantastisch, einen geisterhaften Grundklang in diese Musik zu weben, aus dem die Altistin Evelyn Krahe ihren wunderbaren Gesang aufsteigen und ruhig strömen ließ. Einen ebenso starken Eindruck wie „Anima“ hinterließ „Enigma“ mit seinen sanften Streicherakkorden und Luftgeräuschen der Bläser. Noch einmal sang der Madrigalkreis die Rilke-Verse aus „Epitaph“. Dann begann lautmalerisch „Einkehr“ mit Pferdegetrappel, Brunnengeräuschen und Harfenklängen. Die Lautmalerei leitete zum Gesang der ersten Strophe aus Hölderlins Elegie „Brot und Wein“ über, den der Jenaer Madrigalkreis, Nina Koufochristou und Evelyn Krahe zu einem vokalen Höhepunkt führten. Wie ein leiser Gruß erinnerte der Gesang auf Hölderlins Worte an das Finale der „Auferstehungssinfonie.“ Der Zyklus endete mit einem Cis-Ton der Trompete, demselben Ton, mit dem der Zyklus begonnen hatte.
Die beeindruckende, sehr gelungene Aufführung hat gezeigt, dass Andrea Scartazzinis Zyklus als „Hommage à Gustav Mahler“ einen phantastischen Spannungsbogen in sich trägt, dass jedes Stück mit der entsprechenden Mahler-Sinfonie hervorragend korrespondiert, der gesamte Zyklus jedoch auch allein in Konzerten großer Sinfonieorchester gespielt werden kann.
Die beiden Solistinnen Nina Koufochristou und Evelyn Krahe, der Jenaer Madrigalkreis, die in allen Instrumentengruppen grandiose Jenaer Philharmonie, ihr Chefdirigent Simon Gaudenz und der Komponist Andrea Scartazzini wurden eine Viertelstunde lang mit Bravos, stehenden Ovationen und herzlichem Beifall gefeiert.
Der Mahler-Scartazzini-Zyklus, der bald auch als Gesamteinspielung beim Label „Odradek“ vorliegen wird, ist ein Geschenk an die Stadt Jena, das in dieser Intensität und Qualität einmalig ist und in Deutschland, Österreich und der Schweiz große Beachtung findet. Sein festlicher Abschluss zeigt, dass in den letzten sieben Jahren die Chöre und vor allem das Orchester der Jenaer Philharmonie eine enorme Entwicklung genommen haben. Dafür gilt allen Sängerinnen und Sängern, allen Instrumentalistinnen und Instrumentalisten, vor allem jedoch Simon Gaudenz ein sehr herzliches Dankeschön.
Dr. Dietmar Ebert






Fotos: JenaKultur, Alexandra Münch