Vor Beginn des Kon­zer­tes unter­zeich­ne­ten Ober­bür­ger­meis­ter Dr. Thomas Nitz­sche und Simon Gau­denz dessen Ver­trags­ver­län­ge­rung als Chef­dirigent der Jenaer Phil­har­mo­nie bis zum Ende der Spiel­zeit 2025.2026. Simon Gau­denz sprach vom Geben und Neh­men zwi­schen ihm und dem Orches­ter und betonte die hohe musi­ka­li­sche Qua­li­tät des Jenaer Klang­kör­pers. Davon konnte sich das Pub­li­kum direkt im fol­gen­den Kon­zert über­zeu­gen, auch wenn weder Simon Gau­denz noch der im Vor­feld des Kon­zerts ange­kün­digte Diri­gent Leo McFall, Gewin­ner des Deut­schen Diri­gen­ten­prei­ses 2015 und Chef­dirigent des Sym­pho­nie­or­ches­ters Vorarlberg, am Pult stan­den. Leo McFall war kurz­fris­tig erkrankt. Für ihn sprang Vladislav Lavrik ein, der sich als Retter in der Not und aus­ge­zeich­ne­ter Diri­gent erwies. Er stammt aus einer Musi­ker­fa­mi­lie im ukrai­ni­schen Zaporizhzhia, war von 2017 bis 2022 Chef­dirigent des Tula Sym­phony Orches­tra und lebt seit Beginn des russischen Krie­ges gegen die Ukraine in Berlin und War­schau.

Zu Beginn des Kon­zerts spiel­ten Jörg Schnei­der (Oboe), Chris­tof Reiff (Kla­ri­nette), Robin­son Wappler (Horn) und Man­fred Baum­gärt­ner (Fagott) gemein­sam mit der Jenaer Phil­har­mo­nie in kammer­mu­si­ka­li­scher Beset­zung Mozarts Sin­fon­ia Con­cer­tante in Es-Dur KV 297b. Es ist umstritten, ob das Werk in dieser Form wir­klich aus der Feder Mozarts stammt. In der gegen­wär­ti­gen Mozart-For­schung setzt sich immer stärker die Mei­nung durch, dass die Orches­ter­be­glei­tung stark von Mozarts Hand­schrift abweiche, der Solo­part der Bläser jedoch deut­lich von seinem Kom­po­si­tions­stil geprägt sei. Gleich­viel, ob das Werk ganz oder in Teilen von Mozart selbst stammt oder ihm nur zuge­schrie­ben wird, die vier Blä­ser­so­li­sten der Jenaer Phil­har­mo­nie spiel­ten die Sin­fo­nia Con­cer­tante ganz im Mozartschen Geist mit vir­tuo­ser Leich­tig­keit und großer Musi­zier­freude. Hei­ter­keit und Frische durch­zo­gen alle drei Sätze, den anmu­ti­gen Kopf­satz ebenso wie das lyrisch-träu­me­ri­sche Adagio und die tän­ze­ri­schen Varia­tio­nen, in denen jeder der vier Solis­ten auf seinem Ins­tru­ment bril­lieren konnte. Das Jenaer Pub­li­kum dankte ihnen mit langem, herz­lichem Applaus. Als Zugabe spielte das Blä­ser­quar­tett Jean Françaix‘ „Petit quator“. Noch einmal erwie­sen sich Jörg Schnei­der, Chris­tof Reiff, Robin­son Wappler und Man­fred Baum­gärt­ner als Meis­ter auf ihren Ins­tru­men­ten und bewie­sen zugleich ihren Sinn für den feinen Humor des fran­zö­si­schen Kom­po­nis­ten des 20. Jahr­hun­derts.

Von Es-Dur kippte die musi­ka­li­sche Stimmung nach es-Moll. In dieser Ton­art steht Sergei Prokofjews 6. Sin­fo­nie op. 111, die am 10. Oktober 1947 von Jewgeni Mrawinski in Lenin­grad aus der Taufe geho­ben wurde. Prokofjews 6. Sin­fo­nie trägt die gleiche Opus­zahl wie Beethovens 32. Kla­vier­so­nate, die Prokofjew der­art ver­ehrte, dass er ihre Struk­tur seiner 2. Sin­fo­nie zugrunde legte. Mit ihren drei Sätzen erinnert die 6. Sin­fo­nie an die Sin­fo­nik Arthur Hon­eggers, aber eben auch an Mozarts Sin­fo­nia Con­cer­tante Es-Dur KV 297b.

Bei deren Diri­gat musste Vladislav Lavrik nur hier und da einen Ein­satz geben und hin und wieder ganz leicht zwi­schen Solis­ten und Orches­ter koor­di­nie­ren. Um Prokofjews Sin­fo­nie Nr. 6 zu diri­gie­ren, waren seine ganze Kon­zen­tra­tions­fähig­keit und sein musi­ka­li­sches Können gefragt. Vladislav Lavrik und dem Jenaer Phil­har­mo­ni­schen Orches­ter gelang es vom ersten Takt an, das Düs­tere, Leid­volle und zugleich Absurde in Prokofjews 6. Sin­fo­nie zum Klin­gen zu brin­gen. Lyri­sches und Skurri­les ver­floch­ten sich und stan­den gleich darauf im Gegen­satz zuei­nan­der. Schein­bar erwünschte Gesten des sozia­lis­ti­schen Rea­lis­mus erschie­nen ver­frem­det, kantig und wild. Wie es Vladislav Lavrik gelang, die unge­wöhn­lichen Klang­far­ben­kon­traste und die krassen The­men und Rhyth­men im Largo scharf musi­zie­ren zu lassen, war ebenso ein­drucks­voll wie die Gestal­tung des Final­sat­zes, in dem alles grell-pla­ka­tiv Posi­tive von Schwer­mut, Skep­sis und hin­ter­grün­di­ger Skurri­li­tät auf­ge­so­gen wurde. Das Pub­li­kum applau­dierte lange dem Jenaer Phil­har­mo­ni­schen Orches­ter und seinem Gast­di­ri­gen­ten Vladislav Lavrik, der nicht nur kurz­fris­tig ein­ge­sprun­gen war und das Kon­zert gerettet hatte, son­dern Sergei Prokofjews gera­dezu surreal anmu­tende Sin­fo­nie mit dem Jenaer Orches­ter in einer künst­le­ri­schen Inten­si­tät zu Gehör brachte, die noch Tage später nach­hallte und Asso­zia­tio­nen zur Gegen­wart weckte. Bravo!

Dr. Dietmar Ebert

Zurück