Donnerstagskonzert № 1

Trotz Corona-Pandemie – ein sehr gelungener Scartazzini-Mahler-Abend

Andrea Lorenzo Scartazzini und Simon Gaudenz, Foto: Lucia Hunziker
Andrea Lorenzo Scartazzini und Simon Gaudenz, Foto: Lucia Hunziker

Am Freitag und Samstag wurden in vier Vorstellungen Andrea Lorenzo Scartazzinis „Geleit“ und Gustav Mahlers 4. Sinfonie in der Kammerversion von Klaus Simon aufgeführt 

In Zeiten der Corona-Pandemie war es nicht möglich, den Mahler-Scartazzini-Zyklus mit der Uraufführung seines neuen Stücks „Incantesimo“ fortzuführen. Stattdessen kombinierte Simon Gaudenz Scartazzinis Stück „Geleit“ aus dem Jahr 2001 mit einer Kammerversion von Gustav Mahlers 4. Sinfonie in G-Dur, die Klaus Simon 2007 erstellt hatte.

„Geleit“ erzählt von einer „Winterreise“. Zarte Marimbaphon-Töne erinnern an fallende Schneeflocken, danach ist das Hallen von Schritten zu vernehmen, keuchende Laute wechseln mit bedrohlichen Klängen, ehe grelle Bläsertöne Unheil verkünden. Das Stück verklingt, als würde dem Wanderer ein letztes, von Blechbläsern dominiertes Geleit gegeben. Rein metaphorisch lässt das Stück an Schubert denken, im Schlussteil kann man Anklänge an die Trauermärsche in Mahlers Sinfonien ahnen, betrachtet man aber die Instrumentierung, so ist sie sehr von der Zeit um die Jahrtausendwende geprägt. Streicherklänge, sowohl ganz filigrane wie kraftvolle Schlagwerktöne, feine Holz- und schreiartige Blechbläserklänge mischen sich zu einer musikalischen Erzählung, die sehr von Stimmungen geprägt ist.

Ohne sich der (romantischen) Tradition zu verschließen, findet Andrea Lorenzo Scartazzini in „Geleit“, seinem fast zwanzig Jahre alten Stück, zu einer ganz eigenen Musiksprache.

Scartazzinis „Geleit“ bildete einen sehr stimmigen Auftakt zu Mahlers 4. Sinfonie in Klaus Simons Kammerfassung, die nicht so spartanisch wie die bekanntere Version von Erwin Stein wirkt. Das Kammerorchester der Jenaer Philharmonie bestand aus einem Streichquintett (Rosa Donata Milton, Solveig Mathe, Christian Götz, Henriette Lätsch und Przemysław Bobrowski), Flöte (Erdmute Geuther), Oboe (Jörg Schneider), Klarinette (Christof Reiff), Fagott (Hedwig Dworazik), Horn (Robinson Wappler), Bassklarinette (Wolfgang Perkuhn), Klavier (Camelia Sima), Harmonium (Ekaterina Chernozub) und dreifachem Schlagwerk (René Münch, Barnabás Fekete und Alejandro Coello Calvo). Simon Gaudenz agierte am Dirigentenpult als Primus inter pares. Er balancierte den Klang der Instrumente genau aus und achtete auf feinste Nuancen.

Mahlers 4. Sinfonie erklang so, wie es sich der Komponist einst gewünscht hatte: als „symphonische Humoreske“. Die „Doppelbödigkeit“ mit dem Schellengeläut im ersten und vierten Satz, der scheinbaren Idylle im Kopfsatz, dem grausig-grotesken Violin-Solo im Scherzo und dem ruhevoll-elegischen Adagio war in der Interpretation des Jenaer Kammerorchesters stets präsent. Die Intensität des Streichquintetts, die Reinheit des Klangs, die Zuspiele zwischen Streichern, Holzbläsern, Horn, Klavier, Harmonium und Schlagwerkern bewirkten einen lichtdurchfluteten Mahler-Klang. Aus dem wunderbar homogen klingenden Ensemble seien besonders hervorgehoben: Rosa Donata Milton, die ihr Violin-Solo im zweiten Satz so spielte, als ob „der Tod aufspielt“. Mahler wollte, dass den Hörern dabei die „Haare zu Berge stehen“. Dass er es nicht ganz so bös meinte, zeigt das Adagio mit seinen Doppelvariationen. Während des gesamten Satzes, aber vor allem bei Henriette Lätschs Cello-Solo schien es, als ob die „heilige Ursula“ dazu lächele, wie Gustav Mahler einmal sagte. René Münch sorgte mit seinem Schellengeläut in der Tradition der Volksnarren für einen humoristischen Tonfall in den beiden Ecksätzen.

Lina Johnson, Foto: Lina Johnson, Crescendi Artists
Lina Johnson, Foto: Lina Johnson, Crescendi Artists

Im Finalsatz verlieh die norwegische Sopranistin Lina Johnson mit ihrem schlank geführten Sopran dem „Wunderhorn-Lied“ „Wir genießen die himmlischen Freuden“ den Ausdruck kindlichen Staunens. Mit großer stilistischer Sicherheit traf sie genau den Ton, den es braucht, um aus der Sicht eines Kindes, die Rätsel der ersten drei Sätze aufzulösen. Es ist ein erzählender Gestus, der erst in den letzten Versen:

„Kein’ Musik ist ja nicht auf Erden, die unsrer verglichen kann werden“, stark lyrische Züge annimmt. Ein Moment der Ruhe und Schönheit, ehe die Musik verdämmert, fast erstirbt.

Ein Spiel mit doppeltem Boden!

Das Jenaer Publikum feierte Lina Johnson, das Kammerorchester und Simon Gaudenz für einen trotz aller Widrigkeiten sehr gelungenen Scartazzini-Mahler-Abend. Bleiben wir optimistisch und hoffen wir auf günstigere Bedingungen, um den begonnenen Zyklus fortzusetzen.

Dr. Dietmar Ebert

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